Jean Carrard: 18.1.1919 - 15. 2.2008
Jean wurde am 18. Januar 1919 in Baden geboren, besuchte nach einem Umzug der Familie nach Zürich dort die Primarschule und das Freie Gymnasium. Wegen seiner Mutter wurde daheim Französisch gesprochen und in der Schule natürlich Deutsch und Jean akzeptierte die Zweisprachigkeit ohne Schwierigkeit.
Er studierte an der Universität Lausanne Naturwissenschaft und übernahm danach die Verantwortung für die Ausbildung der Lehrlinge im grossen Betrieb von Dubied in Couvet.
Nach mehreren Jahren verliess er diesen Posten, aber seine Kontakte blieben mit dem Betrieb und seinen früheren Lehrlingen bis zum Lebensende intakt (siehe Beitrag von JosefKaufmann).
Als 1946 das internationale Konferenz- und Schulungszentrum in Caux eröffnet wurde, setzte Jean seine Fähigkeiten dort mit Freuden und Überzeugung ein. Zu beschreiben, was er - und dann später gemeinsam mit Emmina - in der Schweiz und in anderen Teilen der Welt im Rahmen der Moralischen Aufrüstung unternahm, würde hier zu weit führen.
Zwei Schwerpunkte möchte ich aber doch noch erwhnen. Zeit seines Lebens beschäftigte sich Jean mit Fragen der menschlichen Beziehungen in der Industrie (siehe Beitrag von Jacky Brandt). Für den anderen Schwerpunkt könnte man Worte wie Versöhnung, Dialog und Änderung, verwenden. Als Jean zu einem Besuch in Beirut weilte, suchte er den dortigen Schweizer Botschafter auf. Dieser sagte ihm, dass die Sturmwolken über dem Schweizer Jura eine echte Gefahr fur Frieden und Einheit in der Schweiz darstellten. Indirekt sagte er ihm auch: Warum tut Ihr nicht etwas in dieser Situation? So, jedenfalls, hörten Carrards seine Botschaft und richteten sich dann auch im Jura selbst ein. Es kam zu einer engen Zusammenarbeit mit Menschen in allen Lagern im Jura und kurz darauf auch im Südtirol, der damals ebenfalls stürmische Jahre erlebte. Jean und Emmina blieben den Menschen in diesen zwei Gebieten bis heute treu.
Jacky Brandt, Bulle: Schon in den Fünfzigerjahren war Jean Carrard meinen Eltern freundschaftlich verbunden; er kam, um meinen Vater in seiner Schmiedewerkstatt zu grüssen, wenn er in der Gegend im Militärdienst war. ln der Folge hielt er den Kontakt mit unserer Familie aufrecht, indem er uns, zusammen mit seiner Frau Emmina, im Haus oder im Büro besuchte. Oft war es ein kurzes Vorbeischauen, manchmal sogar unerwartet, was wir aber stets schätzten.
Er erzählte uns von seinen Besuchen in Bozen, von seinen Bekannten und Freunden im Südtirol, welche nach ihrem Besuch in Caux eine Grundlage für Verständigung und Versöhnung gefunden hatten. Dorthin reiste Jean oft, wenn er und Emmina in deren Geburtsort Lavin ihre Ferien verbrachten. Er teilte mir auch seine Sorge mit um die Jurassier am Höhepunkt des Kampfs fur die Unabhängigkeit des Juras. Mit der Aussicht, zur Lösung dieses Problems beitragen zu können, wohnten die beiden für eine gewisse Zeit in Moutier.
Durch diese Begegnungen wurden wir echte Freunde, obwohl Jean unerbittlich nach Offenheit suchte in der Konfrontation mit Unrecht oder zweifelhaften Haltungen! Mit Jean ging man stets direkt aufs Ziellos! Wir konnten uns mit Respekt und Vertrauen alles sagen, auch wenn dies manchmal unbequem war!
Seine Erfahrungen als junge Führungskraft im Unternehmen Dubied in Couvet liessen ihn Angestellte wie Industrielle gleichermassen lieben. Jean ermutigte mich, als Patron in meinen Entscheidungen meinem Gewissen zu gehorchen. Wenn dies auch manchmal schwierig umzusetzen war, führten solche Entscheide, im Rückblick betrachtet, zu unerwarteten und dauerhaften Lösungen!
Für die Wirtschaft hatte Jean die Vision, dass sie über ihre materielle Rolle hinaus zum Dienen bestimmt sei, indem sie Unternehmer und Gewerkschafter anregen würde, die Bedürfnisse des einzelnen Menschen wie jene der Gemeinschaft in Betracht zu ziehen. Vor allem beschäftigte ihn die Sorge um den sozialen Frieden und die Integrität im Land. Er folgte gerne dem Appell fur Zusammenkünfte, an denen über solche Themen reflektiert wurde. Jean offenbarte eine grosse Treue und war stets bereit, sich an die Stelle der Leute zu versetzen, manchrnal bloss mit einem einfachen Wort.
Josef Kaufmann, Gingins: Gedanken eines ehemaligen Lehrlings: Was werden hier so viele Erlebnisse mit Jean wieder wach: Jean aIs Berufslehrer, wie er zuerst neben uns das Feilen lernte. Wie er den Kontakt suchte mit uns Lehrbuben, auch ausserhalb der Berufstätigkeit. Unsere anfängliche Zurückhaltung verschwand aber bald, aIs wir feststellten, wie Jean sich bei der Direktion für uns einsetzte. Was haben wir Jean alles zu verdanken; Turnstunden (1946 einmaIig), Berufsausflüge, Unterhaltungsabende zwecks Finanzierung der Ausflüge, Diskussionsrunden im Foyer Dubied. Er hat manchen Samen gesät, konnte aber auch die Früchte erleben nach dem Motto, das er sich zu eigen gemacht hatte: "Chercher ce qui est juste et non qui a raison "(suchen, was richtig ist und nicht wer recht hat).
Einige von uns durften an langen Wochenenden mit Jean Bergwanderungen unternehmen, was Gelegenheit bot einander näher kennen zu lernen. Alle seine "pommeaux" haben die Lehrabschlussprüfung bestanden und unsere Verbundenheit mit Jean ist ungebrochen. Alle fünf Jahre an seinem runden Geburtstag gab es ein Wiedersehen. Das solI nach seinem Wunsch auch ohne ihn so bleiben. Nächste Zusammenkunft 17. Januar 2009, nicht nur Jean wird fehlen, viele meiner Kollegen hat Gott bereits abberufen. Adieu Jean, wir werden dich nie vergessen.
Philippe Odier, Lyon: Ende der Siebzigerjahre waren die Sprösslinge einiger Freunde von Jean im Pubertätsalter. Sie fanden, Caux sei ein wunderbarer Ort, um toIle Streiche zu verüben. Ich war einer von ihnen. Etienne Piguet war ebenfalls dabei.
Jean kam der inspirierte Gedanke, seine beiden Leidenschaften zu vereinen: einerseits seine Liebe zu den Bergen - andrerseits sein Anliegen, eine Botschaft weiterzugeben. So lud er die jungen Leute ein zu einer Woche im Wallis, um sowohl die Technik des Bergsteigens aIs auch Lektionen für das Leben zu erlernen. Das Experiment funktionierte so gut, dass in den foigenden 14 Jahren 16 weitere Lager foIgten. Gegen hundert Jugendliche aus zehn Nationen erprobten dieses Experiment. Es entstand ein Team rund um Jean mit Philippe Lasserre, Jacques Henri, Andrew Stallybrass und vielen weiteren, die gelegentlich dazu stiessen. Mit der Zeit entwickelten sich Etienne Piguet und ich vom Teilnehmer zum Instruktor und Organisator ... und zu Freunden von Jean. Eine solche Freundschaft mit einem Altersunterschied von beinahe zwei Generationen ist etwas Seltenes und Wertvolles - obwohl es auch bedeutete, gelegentlich arn Sonntagmorgen um sieben Uhr, beziehungsweise 0700, einen Anruf von Jean zu erhalten.
Fast zwanzig Jahre sind vergangen seit dem letzten dieser Lager. Noch immer ertönen in meiner Erinnerung magische Namen: Dent Blanche, Mont Blanc de Cheillon, Quille du Diable, SchildkröteGrätli! Die Lebensumstände haben mich etwas entfernt von den Gipfeln, aber gewiss nicht von der Liebe zu den Bergen und zur Lehrtätigkeit. Ob es Zufall ist, dass Etienne und ich beide Professoren geworden sind? Jean glaubte nicht an Zufälle ....
Die wichtigste Überzeugung von Jean war, diesen Jugendlichen ein Gefühl zu geben für den Sinn ihres Lebens: durch Anstrengung und Disziplin, aber auch durch Freundschaft und Teilen. Heute denke ich an meine beiden Söhne, Daniel und David. Der Altere ist schon beinahe so aIt wie ich, aIs ich begann, mit Jean unterwegs zu sein. Und ich sage mir, wenn ich ihnen auch nur einen Teil von dem vermitteln kann, was Jean jedem von uns im Laufe dieser Jahre mitgab, dann werde ich stolz sein.
Monique Chaurand, Montpellier: lm vergangenen August sass ich eines Nachmittages auf einer Bank der grossen Terrasse in Caux. Ich erlaubte mir eine Ruhepause.
Plötzlich sehe ich eine männliche Silhouette mit regelmässigem Schritt eines Bergwanderers auf mich zukommen und ich erkenne Jean Carrard. Er begrüsst mich herzlich und fragt, ob er einen Moment absitzen könne. Wir tauschen einige Nachrichten aus und kommen zu einem Thema, das uns beide betrifft: die Kunst des Älterwerdens! Jean erwähnt ganz einfach seine Schwierigkeiten und schildert mit Humor seine Entdeckungen und seine Freuden. Seine grosse Transparenz sich selber gegenüber beeindruckt mich und einmal mehr reihen sich unsere Überlegungen aneinander ...
Seine dynamische Persönlichkeit strahlt einen sicheren inneren Frieden aus. Er verabschiedet sich und ich staune über seinen intakten Glauben an die tägliche persönliche Änderung. Seine fürsorgliche Art und Weise, sich um andere zu kümmern, werde ich als unvergessliches Geschenk immer behalten.
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